Als in der Nacht zum
13. Februar 1945 auch bei uns wieder einmal die Sirenen heulten,
taumelte ich mit meiner Mutter schlaftrunken in den Keller. Eine
steinalte Frau aus unserem Haus kniete stets betend auf dem kalten
Kellerboden und rang verzweifelt die Hände. Dieses Bild sehe ich noch
heute deutlich vor mir.
Unser Nachbar holte
uns aus dem Keller, als über Dresden die "Christbäume" den nächtlichen
Himmel weithin erhellten. Dumpfes Grollen drang bis in die Außenbezirke,
und der Himmel wurde von dem immer stärker werdenden Feuer in der
Innenstadt rot wie bei einem Sonnenuntergang.
Ich drängte mich
zitternd vor Angst und Kälte an meine Mutter. So schrecklich das alles
auch war, diese gespenstische Himmelsbeleuchtung sah eigentlich sehr schön
aus – ähnlich wie bei einem Feuerwerk, nur kam der Sternenregen aus
Bombern.
Die Erwachsenen
vermuteten Schreckliches. Sie sollten leider recht behalten, doch übertraf
das Geschehene noch die allerschlimmsten Befürchtungen!
An die Tage nach dem
Angriff erinnere ich mich besonders deutlich: Wir wohnten an der
Endstation einer Straßenbahnlinie. Zu Hunderten kamen Ausgebombte, Flüchtende,
Verletzte hilfesuchend aus der ausgebrannten, toten Stadt.
Teilweise fuhren noch
Straßenbahnen auf erhalten gebliebenen Außenstrecken. Sie spuckten
diese armen Menschen aus, die mit letzter Kraft ihre aus dem Feuer
gerettete Habe angeschleppt brachten.
Mütter hielten ihre
verweinten und völlig übermüdeten Kinder an der Hand oder auf dem
Arm. Viele Greise waren in dem Menschenstrom. Ihnen allen standen die
Angst und die totale Erschöpfung auf den Gesichtern geschrieben.
Jüngere Männer sah
man kaum, sie befanden sich noch an der Front, in Gefangenschaft oder
lagen bereits "auf dem Felde der Ehre".
Ich sah vom Gartenzaun
aus, wie die Elendsströme aus den Bahnen quollen. Mein kindliches Gemüt
wurde davon sehr bewegt. "Diesen armen Menschen muß doch geholfen
werden!" dachte ich. Mit unserem Handleiterwagen stellte ich mich
an die Endhaltestelle der Straßenbahn, lud Gepäck auf und fuhr es zu
Verwandten oder zu einer Sommerlaube.
Es war sehr kalt im
Februar 1945. Die ausgebombten Menschen brauchten ein Dach über dem
Kopf, und war es nur ein nicht beheizbares Gartenhäuschen.
*
Jahre später, ich
war bereits ein junges Mädchen, sprach mich, als ich gerade aus unserem
Grundstück trat, eine alte Frau an. Sie gab sich als eine jener
Hilfsbedürftigen zu erkennen, deren letzte Habe ich damals, nach dem
Inferno, transportiert hatte. Dankbar erinnerte sie sich meiner Hilfe.
Durch diese Begegnung wurde mir das Geschehene erstmals wieder ins Gedächtnis
gerufen. Mein ganzes Leben lang habe ich mich bemüht, hilfsbereit zu
bleiben, Gelegenheiten dazu gibt es genügend.
Mit freundlicher Genehmigung des
Zeitgut-Verlages
Bilder: © Zeitgut-Archiv
Aus:
"Gebrannte Kinder. Kindheit in Deutschland 1939–1945", Reihe
ZEITGUT, Band 1. Zeitgut Verlag, 384 S., Abb., ISBN 3-933336-25-2
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