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"Ein alter Mann verkaufte am
Alexanderplatz diese Puppe für 80 Mark. Sie war für mich die schönste
Puppe, die ich jemals gesehen hatte."
Bild:©www.zeitgut.com
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Ich war damals elf Jahre alt
und hatte gelernt, das sorgenvolle Gesicht meiner Mutter zu beobachten, hatte
gelernt, Rücksicht zu nehmen und zu helfen. An unserem Bahndamm wuchsen die schönsten
Veilchen der Umgebung.
Es
kostete überhaupt keine Mühe, einen großen Korb damit zu füllen; aber es war
schlimm, sie verkaufen zu müssen. Wir fuhren dazu auf den Alexanderplatz und
mein Herz klopfte jedesmal, wenn ich dort alleingelassen wurde. Ich wußte, daß
dann die Passanten besonders mitleidig reagierten und ich den Verkauf schnell
hinter mich bringen konnte.
Der
Tag, der mir nie aus dem Gedächtnis gehen wird, fing gut an. Die Veilchen
dufteten in meinem Korb und die Sonne schien ganz warm auf meine Kniestrümpfe.
Eine alte Frau mit lieben Augen schenkte mir eine Mark, und ein junger Mann
steckte drei Sträuße auf einmal ein. Wenig später beugte sich eine Frau über
meinen Korb und schob einige Veilchen zu einer Art Biedermeiergebinde zusammen,
dabei lächelte sie mich unaufhörlich an.
Doch
dann schien die Glückssträhne wie abgeschnitten. Minuten kamen mir wie Stunden
vor. Der Platz sah öde und leer aus, als plötzlich ein älterer Mann auf mich
zukam. Er stand nachdenklich und traurig vor mir: "Armes Mädchen!"Mit
einer schnellen Handbewegung nahm er alle Veilchen aus dem Korb und steckte mir
50 Mark zu.
Als
Mutter kam, konnte sie es kaum glauben und ich sah, daß sie sich freute, weil
ich so glücklich war. Schnell zog sie mich an der Hand in den S-Bahn-Tunnel. "Weißt du, daß wir jetzt eine Woche lang Speck und Eier haben?"
Meine
Vorstellungen von Geld waren schon sehr realistisch, und so fügte ich hinzu: "Und vielleicht auch Kaffee für dich, Mama!"
In diesem Augenblick
bemerkten wir einen alten, kränklich wirkenden Mann, der auf dem Fußboden des
Tunnels saß. Er sah aus wie ein Bettler aus einem Märchen, und märchenhaft
war auch die Puppe, die er im Arm hielt.
"Mutti,
siehst du die Puppe? Ich habe noch niemals so eine schöne Puppe gesehen! Wenn
wir Geld hätten, dann würde ich mir auf dieser Welt nur diese Puppe wünschen!"
Mutter
zog mich weiter.
"Warum
können wir nicht wenigstens fragen, Mutti?"
Unschlüssig
verhielt sie den Schritt.
"Mutti,
bitte laß uns fragen."
"Kind,
der Mann ist auch arm, er muß Geld dafür bekommen“, erwiderte sie unschlüssig.
Schließlich machten wir doch kehrt und gingen zum Tunnel zurück.
Mein
Herz klopfte bis zum Hals, als Mutter mit dem alten Mann sprach. Ich war so
aufgeregt, daß nur noch Wortfetzen mein Ohr erreichten: "80 Mark, ich kann
die Puppe nicht verschenken, leider."
Noch
heute sehe ich in meinen Träumen die traurigen Augen meiner Mutter und die des
alten Mannes.
Ich
weinte nicht. Ich hatte begriffen, daß es nicht ging. Mutter ließ mich noch
einmal stehen, um ein Taschentuch aus dem Beutel zu ziehen. Ich merkte nicht
einmal, wann sie mich wieder an die Hand nahm und mich in die S-Bahn schob. Auf
der ganzen Fahrt habe ich gelitten, weil ich meiner Mutter nicht helfen konnte.
Als
ich abends im Bett lag und die Anspannung einer großen Müdigkeit wich, kam
meine Mutter noch einmal zu mir. Sie hatte ihren Einkaufsbeutel bei sich, öffnete
ihn langsam und zog eine Schachtel heraus. Sie beugte sich über mich, gab mir
einen Kuß und legte mir glücklich lächelnd die Puppe in den Arm: "Es geht
weiter, mein Kind, mit und ohne Puppe!"
Ich
konnte vor Freude und Aufregung nicht schlafen.
Und
noch heute bleibe ich wach, wenn ich darüber nachdenke, denn heute weiß ich,
daß meine Mutter sich zu dem Puppenkauf entschloß, weil sie an diesem Tag überhaupt
keinen Lebensmut mehr hatte und wenigstens mich glücklich machen wollte. Daß
sie dann aber doch alle Kräfte zusammennahm, lag bestimmt an mir und meiner
Puppe.
Mit freundlicher Genehmigung des
Zeitgut-Verlages
Bilder: © Zeitgut-Archiv
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