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Konikow bei Köslin* Hinterpommern;
Dezember 1930
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Gisela Schoon
Die Puppen im Schrank
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Meine zwei Jahre ältere Schwester Annelie
und ich gingen noch nicht zur Schule. Wir wohnten in Konikow,
einem kleinen Dorf in Hinterpommern. Weil unsere Eltern immer viel
Arbeit hatten, waren wir uns häufig selbst überlassen, was
unserer fantasievollen und frohen Kinderzeit nicht schadete, im
Gegenteil. Die Wochen vor Weihnachten waren besonders schön,
geheimnisvoll und voller Vorfreude.
Eines Tages
winkte mich Annelie in die gute Stube, die wir sonst nur zu
Festtagen betraten. Der hohe Schrank, in dem unsere Eltern ihre
Sonntagskleidung aufbewahrten, stand offen. "Komm, Gila, guck
bloß mal!" flüsterte sie mit dem Finger auf dem Mund.
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Meine Schwester Annelie zieht
mich auf dem Rodelschlitten. Im Hintergrund ist Opas Bienenhaus zu
sehen.
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Ich sah in den
Schrank und entdeckte hinter dunklen Mänteln zwei wunderschöne
Puppengesichter. "Oh! Och!"
Wir standen
ganz still vor freudigem Erschrecken und trauten uns nicht, sie zu
berühren, und schon gar nicht, sie hervorzuholen. Wie kamen die
Puppen da hinein? Ob sie wohl für uns waren? War etwa der
Weihnachtsmann schon bei uns gewesen und Mama hatte die Puppen
verstecken sollen?
Etwas
schuldbewußt ob unserer Entdeckung schlichen wir zurück in
unsere Spielecke in der Eßstube.
Am nächsten
Tag zog es uns wieder zum Schrank. Der Schlüssel steckte, und wir
standen wieder andächtig schauend vor unseren Puppen hinter den Mänteln.
"Meine" Puppe, ich hatte mir die mit dem blonden Bubikopf
ausgesucht, lächelte mich mit ihren strahlend blauen Augen
schelmisch an. Ach, war ich glücklich! Ich taufte sie in Gedanken
auf den Namen Susi.
Am dritten Tag
standen wir vor einem verschlossenen Schrank ohne Schlüssel.
Eifrig suchten wir nach ihm, jedoch vergeblich. Ob er wohl oben
auf dem Schrank lag?
Das aber konnte
Annelie auch mit einem herangezogenen Stuhl nicht nachprüfen,
obwohl sie sich sehr streckte, sie reichte nicht hinauf. Enttäuscht
gaben wir auf. Darüber zu sprechen wagten wir natürlich nicht.
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Die Weihnachtspuppen bekamen ein
Jahr später Sportkarren, in denen wir sie hier vorführen. Meine
Schwester Annelie, links, und ich vor dem Giebel unseres
Elternhauses
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Endlich war es
Heiligabend. Als wir aus der Kirche kamen, liefen wir unseren
Eltern voraus. Der Schnee knirschte unter den Stiefeln. Aber alle
Eile half nichts, wir mußten warten. Der Weihnachtsmann brauchte
in der guten Stube noch einige Zeit. Endlich, endlich öffnete
Mama die Tür!
Der brennende
Lichterbaum, buntgeschmückt, reichte vom Boden bis zur Decke. Und
darunter lagen mit glänzendem Papier verpackte Pakete und Päckchen.
Doch dafür hatte ich keinen Blick. Ich suchte die Puppen unter
dem Baum und sah sie nicht. Tiefes Erschrecken erfaßte mich. Kaum
gelang es mir, mein Gedichtchen aufzusagen. Dann durften wir die
Geschenke auspacken. Ganz versteckt unter buntem Papier fand ich,
was ich so sehnsüchtig gesucht hatte. Ich schloß meine Susi in
die Arme, um sie den ganzen Abend nicht wieder loszulassen.
Unsere Eltern
sahen uns lächelnd zu. Heute denke ich, daß sie aufmerksam
beobachtet haben, ob wir richtig überrascht waren. Die zufällige
Entdeckung der Puppen im Schrank blieb unser Geheimnis.
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Aus:
"Unvergessene Weihnachten", Reihe ZEITGUT, Band 3.
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