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Während
meiner Kindheit in den dreißiger Jahren lebte ich mit meinen
Eltern und vier älteren Geschwistern in einem kleinen Dorf der
Leipziger Tiefebene.
Besonders gut erinnere ich mich an die alljährlich
wiederkehrende, für uns Kinder schönste und geheimnisvollste
Zeit in unserer Familie: die Adventszeit. Alle flüsterten
untereinander, viel öfter als sonst sah man ein verschmitztes Lächeln
die Gesichter erhellen, und ein Augenzwinkern konnte mehr aussagen
als tausend Worte. Für mich als die Kleinste war das alles sehr
aufregend, schließlich glaubte ich noch fest an den
Weihnachtsmann!
Das Wichtigste für uns alle im Advent war mit Sicherheit das
Zauberwort "Weihnachtsstollen". Jeder wirkte an der
Herstellung dieses wohlschmeckenden Gebäcks mit, die eine sorgfältige
Vorbereitung benötigte.
Bevor wir überhaupt mit unserem Werk beginnen konnten, mußte
meine Mutter einige Kilometer ins Nachbardorf zum Bäcker laufen,
um einen Backtermin zu vereinbaren. Von dort brachte sie auch
gleich die Hefe mit.
Alle anderen Zutaten kauften wir im nächstgelegenen
Lebensmittelgeschäft, was genauer Überlegung bedurfte. Wir
hatten damals nur sehr wenig Geld, doch Mama wußte sich zu
helfen. Das ganze Jahr über sammelte sie die Rabattmarken des
Ladens, wir Kinder klebten sie sorgfältig in die dazugehörigen
Heftchen, die Mama gewissenhaft nur für den Stolleneinkauf
aufhob.
Endlich war es so weit. Mit unserem Handwagen fuhren wir drei
Kilometer zum Lebensmittelhändler, und ich war stolz, auf dem
Hinweg im Wagen sitzen zu dürfen. Im Geschäft angekommen, bot
sich meinen Kinderaugen eine wahre Wunderwelt. So viele große Säcke
standen am Boden und alles zusammen duftete so lecker und
verwirrend!
Der Kaufmann wußte genau, in welchen Säcken sich die Zutaten für
unsere Stollen befanden, nahm seine Schaufel und füllte wunschgemäß
alles in Tüten. Süße und auch ein paar bittere Mandeln, in
andere Beutel Rosinen, Korinthen, Zitronat, Zucker, Mehl,
Staubzucker, ja und die Butter schnitt er von einem großen Block
ab. Er wog alles genau ab und füllte schließlich noch eine große
Flasche voll Rum. Wir luden dann unseren Einkauf auf den Handwagen
und traten den Heimweg an.
Jetzt konnten die Vorbereitungen richtig beginnen. Meine großen
Geschwister, die schon mit Messern arbeiten durften, hackten die
gebrühten und abgezogenen Mandeln, dann schnitten sie das
Zitronat in kleine Würfel. Ich war noch zu jung für den Umgang
mit scharfen Klingen und wurde zum Verlesen von Rosinen und
Korinthen eingeteilt, denn da waren noch zu viele kleine Stiele
dran. Nach allen Mühen füllten wir die Früchte in eine Schüssel,
und mein Vater trat in Aktion: Er beträufelte die Mischung mit
Rum, bis sie feucht glänzte.
Während wir uns am Abend ausruhten, begann für Mama die
Hauptarbeit. Sie bereitete den Teig, was viel Kraft kostete, denn
das hieß kneten, kneten und nochmals kneten. Zunächst bereitete
sie das Hefestück mit warmer Milch, dann verarbeitete sie es mit
rund 15 oder mehr Pfund Mehl, Zucker, Butter, Eiern, Milch und
etwas Salz in einem großen Asch (sächsisch für Schüssel,
kleine Wanne) zu einem Teig, der zwischendurch immer wieder ruhen
mußte, so daß sie viel Zeit dafür benötigte. Endlich war es
geschafft, und der Asch mit dem Teig wurde in mehrere Decken
verpackt und auf den Handwagen gestellt. Dazu kam die Schüssel
mit den rumgetränkten Früchten. Am nächsten Morgen, zwischen
vier und fünf Uhr, liefen Mama und zwei meiner Brüder zur
Backstube ins nächste Dorf.
Von dem Moment an war unser mühevoller Einsatz vergessen, denn
wir warteten jetzt nur noch darauf, daß der Bäcker die fertigen
Stollen brachte. Wenn er dann mit seinem von einem Schimmel
gezogenen Kastenwagen vorfuhr und uns die Herrlichkeit übergab,
durften wir das Gebäck zwar noch nicht anrühren, doch jedes Jahr
bereitete er aus dem Rest des Hefeteigs einen großen, viereckigen
Butter-Zucker-Kuchen. Das war für uns, die wir an altbackenes
Brot gewöhnt waren, eine wahre Köstlichkeit, und wir verspeisten
ihn bis auf den letzten Krümel noch am selben Tag.
Nach dem Genuß dieser Delikatesse fiel es uns schon gar nicht
mehr schwer, noch die zwei Wochen zu warten, bis der Stollen
endlich angeschnitten wurde. Und dann zählte wirklich nur noch
der wunderbare Geschmack des Gebäcks, das inzwischen eine weit über
meine Heimat Sachsen hinaus bekannte Spezialität geworden ist.
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