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  Huglfing, an der Salzstraße, Oberbayern -
London, England -
Buckenhof und Uttenreuth bei Erlangen, Mittelfranken;
Weihnachten 1952/1954/1945
  Brigitte Meyer-Rudat
Drei ganz verschiedene Weihnachtsfeste
 

Zwei Wochen vor dem Weihnachtfest 1952 befinde ich mich in einem kleinen oberbayerischen Dorf mit dem lustigen Namen Huglfing, etwa 60 Kilometer südlich von München gelegen. Wir sind vier Haustöchter in einem evangelischen Müttererholungsheim. Gemeinsam mit der Hausmutter versorgen wir die Mütter und sind zuständig für Haus, Garten und Waschküche, auch für Hund und Katz. Wir verstehen uns sehr gut und wechseln uns bei allen Tätigkeiten ab.

"Huuuglfiing!" ruft der Bahnbeamte auf dem kleinen Bahnhof in schönstem Bayerisch. Unsere erholungsbedürftigen Mütter sind alle gut angekommen. Das Haus ist blitzblank geputzt, und wir haben mit viel Vorfreude jede Menge Weihnachtsplätzchen gebacken. Auch sieben große Christstollen liegen gut verpackt im Keller. Im ganzen Haus riecht es herrlich weihnachtlich nach Pfefferkuchen, Anisgebäck und nach Tannenzweigen, die wir vier Mädchen überall im Haus verteilt haben.

Alle Mütter, die hier das Weihnachtsfest verbringen dürfen‚ sind nervlich und körperlich sehr mitgenommen. Sie haben jeweils drei bis fünf Kinder, die in dieser Zeit bei Oma und Opa oder bei anderen netten Menschen untergekommen sind. Wir geben uns alle Mühe, diesen Frauen ein friedliches, warmes und frohes Weihnachtsfest zu bereiten. Die schöne Dekoration mit Strohsternen‚ Glöckchen‚ Herzchen und Monden an den Tannenzweigen bringt uns in eine frohe Weihnachtsstimmung. Wie es sich gehört, fängt es auch an zu schneien, alles sieht so friedlich und weihnachtlich aus. Wir singen die alten Krippenlieder: "Der Heiland ist geboren, freu' dich du Christenheit" oder "Wärst du Kindlein im Kaschuben Lande, wärst du doch bei uns geboren".

Es gibt jeden Tag ein sehr gutes Essen, denn die Mütter sollen sich in jeder Hinsicht erholen. Wir machen Spiele und unternehmen Spaziergänge im tiefen Schnee, auch eine zünftige Schneeballschlacht darf nicht fehlen. Ausflüge in das schöne oberbayerische Bergland führen uns nach Mittenwald oder Garmisch-Partenkirchen‚ auch nach Oberstdorf.



Weihnachtsputz im Müttererholungsheim Huglfing in Oberbayern 1952.


Nun ist es Heiligabend. Ein Bergbauer bringt uns einen großen Tannenbaum, der im Speisesaal auf einem Brett mit vier Beinen aufgestellt wird. Wir schmücken ihn mit vielen Strohsternen, glitzernden Kugeln‚ Lametta und Kerzen, auf die Spitze setzen wir einen Rauschgoldengel. Auf dem Brett unter dem Weihnachtsbaum errichten wir eine Miniatur-Landschaft mit dem Stall von Bethlehem, der Krippe mit dem Jesuskind und Josef und Maria. Im Herbst haben wir dafür Moos, Wurzeln und bunte Beeren gesammelt. Als Beleuchtung stellen wir Teelichter in das feuchte Moos.

Dann werden die Kerzen angezündet, wir hören eine Weihnachtsandacht und singen viele Weihnachtslieder. Danach gibt es eine Bescherung, jede erhält ein kleines Geschenk und einen bunten Teller. Wir genießen ein herrliches Weihnachtsmenü: eine Hühnersuppe, Schweine- und Rinderbraten, dazu Kartoffelklöße, Rotkohl und als Nachtisch Birne Helene. Dazu gibt es Punsch zu trinken. Es ist wirklich ein sehr harmonischer, friedvoller Heiliger Abend. Die Mütter gehen zu Bett‚ und wir vier räumen ab. Die Kerzen am Christbaum werden gelöscht, die Teelichter an der Krippe ebenfalls. Nun ziehen wir uns warm an, denn wir wollen nach Huglfing in die Christmette.

Der Schnee liegt an den Straßenrändern über einen Meter hoch und glitzert im Mondlicht. Als wir den Berg zur Kirche hinaufkommen, ist dies ein ganz feierlicher Moment: Im Schnee flackern viele Windlichter, und vom Kirchturm bläst ein Trompeter "Vom Himmel hoch, da komm' ich her". Die Kirche ist sehr gut besucht, wir müssen stehen. Kinder führen ein Krippenspiel mit echten Tieren auf, ein Esel und ein Kalb stehen an einer Holzkrippe mit Stroh, nur das Jesuskind ist eine Puppe.
Langsam und frohen Herzens kehren wir zum Mütterheim zurück. Alles ist dunkel, die Mütter schlafen schon, und auch wir freuen uns auf unser warmes Bett. Oh Schreck!

Als wir die Haustür aufsperren, kommen uns schwarze Rauchschwaden entgegen. Schnell öffnen wir alle Türen und Fenster, damit der Rauch abziehen kann. Dann suchen wir die Feuerquelle. Beim Anblick der Krippe erschrecken wir: Alle Figuren sind schwarz verkohlt, nur die Krippe selbst mit dem Jesuskind und Maria und Josef ist unversehrt. Wir haben ein brennendes Teelicht übersehen, und nur das feuchte Moos verhinderte, daß alles komplett verbrannte. Es kommt uns an diesem Heiligen Abend wie ein Wunder vor, daß niemand zu Schaden gekommen ist.


Brigitte Meyer-Rudat, hier eine der vier Haustöchter, irrt zwei Jahre später, am Heiligabend 1954, durch Londons Nebel. Mehr davon in der nächsten Geschichte.


Christmas time 1954

Zwei Jahre später. Zwölfmal schlägt es vom Big Ben - ja, ich stehe mitten in London an der Themse. Ich bin 19 Jahre alt und schon vier Monate hier. Es ist kurz vor Weihnachten. Die Tage sind grau in grau, abends und nachts gibt es dicken Nebel. Oft ist er gelblich und riecht sehr stark nach Schwefel. Ich bin deshalb schon dreimal nicht in die Englisch-Abendschule gegangen. Es ist wirklich unangenehm, plötzlich mit wildfremden Menschen zusammenzustoßen, richtig gruselig. In den Krimis von Edgar Wallace spielt dieser Nebel nicht umsonst immer eine große Rolle.

Jetzt ist es Mittagszeit und ich habe für meine Mutter und meine Oma im fernen Deutschland in einem Antiquitätengeschäft ein Weihnachtsgeschenk erstanden: zwei wunderschöne Kerzenständer, mit Gravierungen reich verziert. Sie waren nicht ganz billig. Ob sie aus echtem Messing bestehen, weiß ich nicht. Mit den passenden Bienenwachskerzen werden sie jedenfalls feierlich aussehen. -

Wie gut geht es uns inzwischen. Ich muß an das erste Weihnachtsfest nach dem Krieg denken. Wir waren als Flüchtlinge aus Pitzerwitz in Pommern in Buckenhof bei Erlangen, Mittelfranken, untergekommen: zwei Zimmer zu ebener Erde, mit alten Möbeln, drei riesige ausgestopfte Vögel hingen an den Wänden und machten mir angst. Es war kalt, wir hatten zwar einen eisernen Herd, aber keine Kohlen und auch kein Holz, doch wir waren froh, daß wir nicht in ein Flüchtlingslager zu ziehen brauchten. Unsere Wirtin legte uns zum Fest ein paar Briketts vor die Tür und einen Mantel für mich. Den hatte sie aus einer alten Jacke genäht, dazu eine selbstgestrickte Mütze, einen Schal und Handschuhe. Das war meine schönste Überraschung!
Für ein wenig Marmelade mußte ich eine Stunde in der Schlange stehen. Zehn Jahre alt war ich damals, als die Amerikaner in unsere Schule kamen und dafür sorgten, daß alle Flüchtlingskinder Schulspeisung bekamen. Eine Woche vor Weihnachten landete auf dem Dorfplatz in Uttenreuth, wo ich zur Schule ging, sogar ein amerikanischer Hubschrauber. Ein Nikolaus in rotem Mantel mit weißem Pelzbesatz stieg aus. Alle Flüchtlingskinder wurden in den großen Saal der Dorfgaststätte eingeladen. Jedes Kind erhielt eine Tüte mit Süßigkeiten, einen Becher Kakao und weiche weiße Brötchen. Diesen herrlichen Geschmack und den freundlichen Klang der fremden Sprache habe ich nie vergessen. Wie gut, daß ich als Kind immer so aufmerksam zugehört habe.

1945 wohnten farbige Amerikaner in einem früheren Café in unserer Nähe und riefen mir über den Zaun lachend "Hallo Baby, how are you?" und anderes zu. Wenn ich dann auf Englisch antwortete, bekam ich meistens eine Süßigkeit, Kaugummi, Schokolade oder Bonbons. Einmal sprach ich mit den GI's einen ganzen Satz in ihrer Sprache. Alle klatschten vor lauter Freude darüber. Einer von ihnen hob mich über den Zaun. Sie liefen mit mir hinter das große Haus, setzten sich um den Gartentisch und grinsten mich an. Dann brachte mir Jonny in einem silbernen Becher eine Riesenportion Eiskrem mit Schlagsahne und Schokoladenstreusel. Noch nie hatte ich solch ein leckeres Eis gegessen! Da fing ich an, mit großem Eifer Englisch zu lernen. -

Es hat sich gelohnt, denn in der Foreigner School‚ die ich hier in London abends besuche, komme ich sehr gut mit und mein Englisch hört sich mittlerweile ganz gut an.
Die Londoner Geschäfte locken weihnachtlich geschmückt, jedoch anders als in Deutschland. Alles ist künstlich, auch die Tannenzweige, und alles scheint mir so grell. Es erinnert mich mehr an Karneval. Weihnachtslieder werden auch gespielt: "Jinglebells, jinglebells" oder "I'm dreaming of a white Christmas". Ich kaufe mir einen unechten Tannenzweig und eine dicke rote Kerze mit Goldschleifchen.

Ich arbeite in einem Hotel. Wir haben nur zwei Dauergäste, die Dame des Hauses liegt im Krankenhaus, und das zweite deutsche Mädchen hat Urlaub. Essen kann ich für uns drei Personen schon kochen, es gibt genug Lebensmittel. Aber von Weihnachten ist nichts zu spüren. Der Hausherr weint nur noch, weil er Angst um seine Frau hat.

Zwei Tage vor Weihnachten höre ich in der Royal Festival Halle ein wunderbares Konzert, für das ich Karten erstanden habe. Die Wiener Philharmoniker spielen die Neunte Symphonie von Beethoven. Es herrscht eine einzigartige festliche Atmosphäre. Meine Freundin steht unten in der Halle und winkt mir zu.

Zum ersten Mal in meinem Leben trage ich Pumps und einen wunderschönen Seidenripsrock. Dem stimmungsvollen Rahmen angepaßt, will ich in der Pause die breite Marmortreppe hinunterschreiten. Da gleite ich mit den schönen glatten Pumps aus und - hopp-hopp-hopp - rutsche ich auf meinem Allerwertesten die Treppe hinunter! Die feingekleideten Konzertbesucher um mich herum sind erschrocken. Zwei galante Herren helfen mir wieder auf die Beine. Wie gut, daß die Sitze gepolstert sind. Trotz dieses Mißgeschicks bleibt das Konzert ein unvergeßlicher Kunstgenuß.

Jetzt werde ich doch ein wenig traurig. Heute ist Heiligabend. Das Päckchen von Mutti und Oma ist noch nicht eingetroffen, die Lady liegt immer noch im Krankenhaus. Ich bin den Tränen nahe, als mich gegen 17 Uhr eine Leiterin vom Deutschen Jugendkreis anruft und fragt, ob ich den Heiligen Abend nicht doch mit meinen Landsleuten zusammen feiern möchte. Natürlich will ich das. Nur wie finde ich sie?

Per Telefon erhalte ich eine genaue Wegbeschreibung. Nachdem ich alles versorgt habe, mache ich mich guten Mutes auf den Weg. Es ist bereits nach 19 Uhr. Es regnet, die Straßenbeleuchtung brennt nicht gerade sehr hell. Die Straßen‚ die Häuser, alles sieht gleich und recht trübsinnig aus. Die wenigen Leute, denen ich begegne, kommen mir etwas angetrunken vor. Die nach einer Straße fragen?

Nein, ich muß dieses Haus doch finden! Also nochmals um den U-Bahnhof herum, über den Platz, zur Kingsroad, dann rechts um die Ecke, ein großes Backsteinhaus. Ich stehe davor: es ist zwar die richtige Nummer - nur leider die falsche Straße! Ich bekomme ganz weiche Knie, mir wird hungrig und mulmig. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und klingele an einer Haustür, einmal, zweimal.

Die Tür wird geöffnet. Eine junge Frau nimmt mich bei der Hand und zieht mich in das Wohnzimmer. Da sind keine Zweige, kein Tannenbaum mit Kerzen. Nein, bunte Luftschlangen hängen quer durch den Raum‚ in der Mitte ist eine Tanzfläche und ein wenig angeheiterte Menschen drücken mir ein Glas in die Hand. "Very fine cherry", rufen sie, "drink, please drink!"

Ich versuche nochmals nach der Straße zu fragen, es ist zwecklos. Ich renne einfach hinaus. Jetzt haben sie es geschafft, ich heule laut vor mich hin und versuche, mein jetziges Zuhause zu finden. Dort angekommen, ist es bereits 22 Uhr. Ich unternehme einen letzten Versuch, den Abend zu retten, und es gelingt mir tatsächlich, meine Bekannte telefonisch zu erreichen. Ja, sie warten immer noch auf mich. Sie nennt mir eine Buchhandlung am Trafalgar Square, wo sie mich gleich abholen wird. Erneut mache ich mich auf den Weg - und finde diese Buchhandlung!

In einigen Minuten sind wir am richtigen Haus. Es ist einfach wunderbar: Als die Tür aufgeht, steht dort ein kleiner Tannenbaum mit brennenden Kerzen, geschmückt mit Strohsternen und Lametta. Vor Freude wird mir ganz warm ums Herz. - Ja, Christ ist geboren, freut euch alle Christenheit.
Am ersten Weihnachtstag treffen sich hier morgens ab neun Uhr viele Menschen aus verschiedenen Ländern, die gemeinsam Weihnachtslieder singen und plaudern wollen. Auch meine deutschen Freunde sind da. Es ist ein wunderbares Erlebnis.

   
  Aus: "Unvergessene Weihnachten", Reihe ZEITGUT, Band 1.
   
   
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  Mit freundlicher Genehmigung des Zeitgut-Verlages
Bilder: © Zeitgut-Archiv

 

 
     

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