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Bücher aus dem Zeitgut Verlag

Sterne über Ost und West

Heinz Neckel

Sterne über Ost und West

Schul- und Studienzeit eines Astronomen / 1937 - 1956. Aus der Reihe 'Sammlung der Zeitzeugen'. Mit zahlreiche Abbildungen.
Herausgegeben von Jürgen Kleindienst.

Zeitgut Verlag GmbH
Juli 2005 
kartoniert 
123 Seiten

 

3933336848

 

 

€ 12,80 kaufen


Kurzbeschreibung

"Hurra, endlich ist es dunkel und keine Wolken sind am Himmel!" So freute sich der 15-jährige Rostocker Schüler, wenn er seinem Hobby nachgehen konnte. Heinz Neckel schildert in vielen ungewöhnlichen Episoden die Vorgeschichte und den Anfang seines Werdegangs zum Hauptobservator an der Hamburger Sternwarte.

1943/44 in ein KLV-Lager evakuiert, absolviert er den "Jungvolk-Dienst" mit Indianerspielen im Wild-West-Dress. Das Kriegsende erlebt er inmitten einer Kompanie der Waffen-SS, die sich kampflos fünf GI's ergibt. Dann 1946 – nach der Drohung eines GPU-Offiziers, ihn zu erschießen – das Schlüsselerlebnis: die Sichtung der Mondkrater durch ein Papprohr mit eingesetztem Brillenglas. Ab jetzt will er mehr sehen. Bauteile für fortgeschrittene Fernrohrtechnik müssen her. Die findet der Junge auf dem Gelände des ehemaligen Luftwaffen-Zeuglagers an der Pötenitzer Wiek. Finanzielle Unterstützung leisten auch sowjetische Offiziere durch zünftige Trinkgelage im Anschluß an astronomische Beobachtungen an seinem Fernrohr. Die Sonnenfinsternis 1949 verführt ihn zu ersten Fotoaufnahmen mit seinem Spiegelteleskop, aufgestellt auf dem Schulhof der Rostocker Goethe-Oberschule.

Nach dem Abitur 1950 bekommt er trotz FDJ-Abstinenz einen Studienplatz in Rostock, nebenher ist er Aushilfslehrer für Mathematik, Physik und Chemie an der Fachschule für Gartenbau in Ribnitz. Dann folgen zwei Semester in Jena und die Flucht in den Westen in einem US-Militärzug. In Heidelberger beginnt der karge Start im Wirtschaftswunderland der fünfziger Jahre. Und weiter folgt Episode auf Episode, bis zum Abschluss des Studiums mit der Promotion und dem Start zu einem einjährigen USA-Aufenthalt: eine Schiffsreise an Bord der "New York" nach New York, der Geburtsstadt des Autors.

Heinz Neckel erzählt flott und unterhaltsam. Nebenher gewährt er einen Einblick in die Jahre des zweiten Weltkrieges, die Nachkriegszeit und die damalige Welt der Astronomen. Man muss kein Liebhaber der Sterne sein, um dieses Buch mit Genuss und Gewinn zu lesen.


Autor

Heinz Neckel, geboren 1930 in New York, Kindheit (ab 1935) und Jugend in Rostock. Physik- und Mathematik-Studium in Rostock (1950/51), Jena (1951/52; ab jetzt einschl. Astronomie), und Heidelberg (1952-56). Promotion 1956. 1957/58 als „Fellow of the Cleveland Astronomical Society“ am Warner and Swasey Observatory in Cleveland/Ohio. 1958 bis 1962 wissensch. Assistent an der Landessternwarte Heidelberg-Königstuhl, 1962 Observator, 1968 Hauptobservator an der Hamburger Sternwarte in Bergedorf.
Zu speziellen Messungen an Sonne oder Sternen viele stets mehrwöchige Aufenthalte, oft im Zweier- oder Mehrfach-Team, in Izaña/Teneriffa (1959), auf dem Jungfraujoch/Schweiz (1961-63), in Stefanion/Peloponnes (1967-70), bei der Europäischen Südsternwarte in Chile (1970), am Kitt Peak National Solar Observatory in Arizona (1981, 1986-90), und am Kennedy-Space-Center in Florida sowie Johnson-Space-Center in Houston/Texas (1983/84; Mitwirkung bei einem französisch-belgisch-deutschen Projekt zur Messung der Sonnenstrahlung im Jahre 1983 vom Spacelab 1 aus, an Bord der im Jahre 2003 verunglückten Raumfähre Columbia).

Autor oder Ko-Autor zahlreicher, meist englisch-sprachiger Veröffentlichungen in astronomischen Fachzeitschriften (1958-2005), einige auch in Hand- bzw. Jahrbüchern.
Verheiratet, vier Kinder, vier Enkelkinder, seit 1996 im sogenannten Ruhestand. Lebt in Reinbek bei Hamburg.


Leseproben aus »Sterne über Ost und West«



Von New York nach Rostock

(...) Im April 1935 zogen wir nach Rostock in ein Zweifamilienhaus in der so genannten Gartenstadt. Schon am Umzugstag lernte ich meinen neuen Freund Wolfram kennen. Wie sein Vater wurde er später Posaunist beim Rostocker Symphonie-Orchester. Bis 1943, als wir in verschiedene KLV-Lager kamen, hatten wir im ganzen Viertel nahezu alle Familien mit Kindern kennen gelernt, nicht zuletzt auch durch das Schlangestehen vor Milch- oder Bäckerläden.

Rostock, Rosenweg, wo wir von 1935 bis 1938 wohnten. Schon am Umzugstag traf ich Wolfram, meinen neuen Freund. Foto um 1980.

Mein Vater war nun Kassenprüfer beim Raiffeisen-Verband, für den er schon vor 1929 gearbeitet hatte. Montags fuhr er mit Bus und Bahn zu den Raiffeisen-Kassen in den ländlichen Regionen Mecklenburgs, freitags oder sonnabends kam er zurück.

Erster »militärischer Höhepunkt« war für uns Kinder der Einzug der Soldaten in die neue Artillerie-Kaserne 1935. Mein Freund Wolfram und ich liefen ihnen auf der Adolf-Hitler-Straße, heute Kopernikusstraße, neugierig entgegen. Schon von weitem hörte man die Marschmusik und dann sahen wir sie: Fahnenträger, Offiziere und selbst die Musiker, flotte Reitermärsche spielend, hoch zu Ross. Jeweils vier oder sechs Pferde zogen die Wagen mit den Geschützmannschaften und den Geschützen dahinter.

Unzertrennlich. Wolfram und ich im September 1939.

Ab jetzt wurde es für uns Jungen zweimal im Jahr »militärisch«: am »Tag der Wehrmacht« durften wir in der Reithalle reiten oder uns in Pferdekutschen durch die Straßen kutschieren lassen und Essen aus der Gulaschkanone holen. Am »Heldengedenktag« waren wir beim Zapfenstreich auf dem Kasernenhof mit dabei. Die heute eher lächerlich wirkenden Uniformen der Weltkriegs-veteranen mit Pickelhaube und Federbusch obendrauf beeindruckten uns sehr. Einmal sahen wir den greisen Haudegen Feldmarschall von Mackensen ganz aus der Nähe. Ich erinnere mich nicht, bei diesen Veranstaltungen jemals Personen in SA, SS oder einer anderen NS-Uniform gesehen zu haben. Aus heutiger Sicht ähnelten sie eher den Paraden zum Geburtstag der britischen Königin. Mit Papphelm, Spielzeuggewehr und unserem Heer aus über 100 Lineol-Soldaten ahmten wir Kinder nach, was wir gesehen und gehört hatten.

In unserem Leben wie in dem unserer Bekannten spielten die Nazis keine Rolle. Niemand von uns ging zu Parteiveranstaltungen und kein Blockwart oder Zellenleiter kümmerte sich um uns. Unsere Tageszeitung war der »Rostocker Anzeiger«, sicher gleichgeschaltet wie alle anderen Zeitungen, aber eben die einzige Informationsquelle für lokale Ereignisse und für große Politik.

(...) Ostern 1937 wurde ich eingeschult. Auf dem Klassenfoto sieht man auch einen etwa zwölfjährigen Roma oder Sinti, der vorübergehend am Unterricht teilnahm. Die Fibel handelte von »Heini und Leni«, an nazistische oder militaristische Inhalte erinnere ich mich nicht.

Klassenfoto vom Mai 1937. Zu Ostern war ich eingeschult worden. Ich bin in der dritten Reihe der Dritte von rechts. Der Junge ganz hinten ist ein Roma oder Sinti, der für einige Zeit am Unterricht teilnahm.

Den ersten vagen Hinweis auf einen möglichen Krieg gab es im Winter 1937/38: Eine Verdunkelungsübung war angeordnet. Alle Fenster waren so mit schwarzem Papier zu versehen, dass kein Licht nach draußen drang. Am nächsten Morgen fragte ich meine Mutter, ob denn die Flugzeuge da gewesen wären.

Im Frühjahr 1938 zogen wir zwei Straßen weiter. Ab jetzt hatten wir auch ein Radio, einen sogenannten Volksempfänger. Damit konnten wir aber nur einen Langwellensender, den »Deutschlandsender«, empfangen und das unter starkem Rauschen.

Zwei Häuser weiter wohnte ein SS-Arzt mit seiner Frau. Zu ihnen hatte keiner der Nachbarn Kontakt. Er besaß eines der zwei Autos in unserer Straße. Wenn er nach Hause kam, hupte er, damit das Dienstmädchen die Garage öffnete. 1945 vergiftete er sich und seine Frau. Einige Häuser weiter lebte eine Familie mit zwei Söhnen, der eine etwas älter, der andere etwas jünger als ich: Adolf und Hermann. Zu dieser Zeit kaufte man auch noch im jüdischen Kaufhaus Wertheim, neben »Zeeck« das größte Kaufhaus in Rostock. Ich hörte aber, wie Nachbarn darüber sprachen, ob man das noch riskieren könne. An die »Reichskristallnacht« habe ich keine persönlichen Erinnerungen.

Die Russen kommen

Um den 25. April 1945 fuhren wir ein letztes Mal mit der Eisenbahn von Schwerin nach Rostock. Dicht gedrängt standen wir auf der Plattform eines Personenwagens, als mich plötzlich der Teufel ritt und ich unsere Mutter auf den Takt der Eisenbahnräder aufmerksam machte: Bum, bum, bum – bum; bum, bum, bum – bum. Wie das Pausenzeichen von BBC London, dem Feindsender.

Meine Mutter blieb äußerlich ganz ruhig, aber tatsächlich hatte sie einen fürchterlichen Schreck bekommen. Um keinem Mitreisenden Gelegenheit zu geben, uns auf dem Hauptbahnhof bei der Polizei anzuschwärzen, stieg sie beim nächsten Stopp, der letzten Station vor Rostock, urplötzlich mit uns aus. Wie könne ich nur sooo leichtsinnig sein, warf sie mir zu Recht vor. Zu Fuß wanderten wir heimwärts.
Kurz vor dem Ziel mussten wir einen Panzergraben überqueren, den an den Tagen zuvor Rostocker Einwohner rund um die Stadt hatten ausheben müssen. Am Abend bestätigte BBC London unsere Befürchtung: Die Amerikaner würden vermutlich nur bis Schwerin und Wismar vorstoßen, Rostock aber würde von den Russen besetzt werden. Diese Meldung entschied, wo wir das Kriegsende erwarten wollten: Auf dem Bauernhof meines Onkels im Klützer Winkel, zwischen Wismar und Lübeck, wo Großmutter A. schon angekommen war.

Unsere Mutter nähte aus ihrem Sommermantel einen großen Sack für die wichtigsten Utensilien, die wir mitnehmen wollten, und brachte die Wohnung auf Hochglanz, damit die Russen keinen schlechten Eindruck bekommen sollten. Ich grub im Innern unserer Gartenlaube eine Grube für die alte Seekiste von Großvater, in der dann unsere wertvollsten Dinge wie das drei Generationen alte Familiengeschirr verstaut wurden. Am Boden der Grube hob ich noch eine zweite, kleinere Vertiefung aus für die Stahlkassette mit den allerwertvollsten Dingen wie den Fotoalben. Wir hofften, dass etwaige Schatzjäger, wenn sie die Seekiste gefunden hätten, nicht noch tiefer nach Schätzen suchen würden. Zwischendurch wurden die Lebensmittelkarten leer gekauft und alles Essbare in Taschen und Rucksäcken verstaut.

Früh am Morgen des 30. April, einem Montag, brachen wir auf. Zwei Tage, bevor die Russen kamen. Ich schob mein Fahrrad, das mit dem »Mantelsack« und vielen Taschen voll beladen war, unsere Mutter und mein achtjähriger Bruder liefen nebenher, ebenfalls mit Rucksäcken und Taschen bepackt. Auf der heutigen B 105 ging es westwärts, mitten im sich endlos dahinziehenden Strom aus Flüchtlingstrecks und Wehrmachtsfahrzeugen. Schon kurz hinter der Abzweigung nach Warnemünde bot sich uns die Gelegenheit, in einem Funkwagen der Wehrmacht mitzufahren. Fahrrad und Sack wurden auf dem Dach verstaut, wir im Innern des Fahrzeugs zwischen den Funkgeräten.

Am Abend war in Wismar Endstation. Wir übernachteten im überfüllten Wartesaal des Bahnhofs und am Morgen des 1. Mai zogen wir weiter Richtung Klütz. Inzwischen hatten wir auf dem Kopf und in der Kleidung heimliche Begleiter: Läuse. Wieder dauerte es nicht lange, bis ein Wehrmachtsauto hielt und wir zur Mitfahrt eingeladen wurden. Bis Klütz. Damit waren wir praktisch am Ziel, denn nun lagen nur noch rund zehn Kilometer Feldweg vor uns.

Schon tauchte am Horizont das Dach des Bauernhauses auf, als von hinten ein Pkw nahte und bei uns stoppte. Der Fahrer, ein SS-Mann, fragte nach dem Weg zum Bauernhof meines Onkels. Als er erfuhr, dass wir ebenfalls dorthin wollten, riet er uns, umzukehren, da der Hof zu einer Verteidigungsstellung ausgebaut und von allen Zivilpersonen geräumt werde. Sprach’s und fuhr davon. 20 Minuten später waren auch wir am Ziel.

Der abgelegene Bauernhof meines Onkels im Klützer Winkel, zwischen Wismar und Lübeck. Hier arbeitete ich in den Sommerferien und hier erwarteten wir Anfang Mai 1945 das Kriegsende. Der Hof war 1946 Ausgangspunkt spezieller »astronomischer Expeditionen«.

Auf dem Gehöft wimmelte es von SS-Soldaten. Tatsächlich hatte eine ganze Kompanie der Waffen-SS den Befehl, den Hof zu verteidigen. Den Grund erfuhren wir bald: Nur drei Kilometer entfernt machte auf seinem Weg nach Westen Reichsführer der SS Heinrich Himmler in Schloss Kalkhorst Zwischenstopp. Drei Wochen später zerbiss er in Lüneburg seine Zyankalikapsel.


Die erste Expedition

Die Sommerferien 1946 verbrachten wir auf dem Bauernhof unseres Onkels, etwa 20 Kilometer östlich von Lübeck. Dort hatte ich schon in all den Kriegsjahren in den Ferien bei der Ernte geholfen. Diesmal ging natürlich das Fernrohr mit auf die Reise, auch wenn am Ende der vielstündigen Bahnfahrt von Rostock nach Wismar noch rund 25 Kilometer zu Fuß zurückzulegen waren und bei der Rückreise auf die entsprechende Menge Eier, Butter und Korn verzichtet werden musste.

In der Veranda des Bauernhauses fand ich das ideale Stativ für mein Fernrohr: einen etwa eineinhalb Meter hohen, säulenartigen Ständer für Blumentöpfe. Der Ständer war leicht nach draußen zu transportieren, so dass die Beobachtungen im Freien erfolgen konnten.

Ebenfalls eifrige »Beobachter«. Für meine Cousinen und Vettern war die Besichtigung von Mond, Venus und Jupiter ein seltenes Erlebnis.

Für unsere Verwandten war die Besichtigung von Mond, Venus als Abendstern und Jupiter natürlich ein seltenes Erlebnis, das sie sich auch nach einem harten Arbeitstag nicht entgehen ließen. Wir Kinder, mit 15 Jahren war ich der Älteste, visierten am Tage aber auch irdische Ziele an. Von einer Anhöhe, auf der sich ein Hügelgrab befand, beobachteten wir die holsteinische Küste jenseits der Lübecker Bucht. Nicht zu übersehen war die in der Bucht kieloben liegende »Kap Arkona«, die noch in den letzten Kriegstagen mit vielen Hunderten KZ-Häftlingen an Bord bombardiert worden und gekentert war.

Eines Tages machte mich mein fünf Jahre jüngerer Vetter darauf aufmerksam, dass auf dem Gelände des ehemaligen Zeuglagers der deutschen Luftwaffe bei Pötenitz, an der Pötenitzer Wiek und direkt an der schmalen Landverbindung der zu Lübeck gehörenden Halbinsel Priwall gelegen, unheimlich viele Geräte und Bauteile herumlägen, die man vielleicht gut zum Bau von Fernrohren brauchen könnte. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Schon am nächsten Tag bekamen wir beide vom Ernteeinsatz frei und radelten gen Pötenitz, jeder mit einer möglichst großen Kiste auf dem Gepäckträger.

An der Pötenitzer Wiek, wo mein Cousin und ich 1946 nach astronomisch verwertbarem Gerät stöberten. Bei meinem Besuch im Sommer 1990 sind immer noch Trümmerreste des ehemaligen Luftwaffen-Zeuglagers zu sehen.

Dort angekommen, begannen wir sofort mit der Schatzsuche. Obwohl wir kein schlechtes Gewissen hatten, gaben wir doch Acht, dass wir möglichst nicht auf dem ausgedehnten Gelände gesehen wurden. Da direkt am Ufer der Wiek die jahrhundertelang umstrittene Grenze zwischen Lübeck und Mecklenburg, seit 1945 Grenze zwischen Ost und West, verlief, machten wir uns sogleich einer Grenzverletzung schuldig, als wir zu einigen, im zu Lübeck gehörenden Wasser verankerten Dornier-Flugbooten wateten, um sie nach astronomisch verwertbaren Geräten abzusuchen. Leider gab es nichts zu holen.

Erfolgreicher verlief die Erkundung auf freiem Gelände. Unter Büschen, in kniehohem Gras, oft auch im aufgewühltem Erdboden, fanden wir, natürlich stark verschmutzt, jede Menge Geräte, deren ursprüngliche Funktion uns meist rätselhaft blieb. Unsere besondere Aufmerksamkeit galt natürlich allen Geräten mit drehbaren Teilen sowie allen optischen Instrumenten, insbesondere noch brauchbaren Objektiven und Okularen. Alles, was verwertbar und für unsere Kisten nicht zu groß war, wurde sorgfältig verladen und per Rad abtransportiert.

Die Materialbeschaffungstour wurde noch einige Male wiederholt, bis wir glaubten, nun wirklich alles Brauchbare entdeckt zu haben. Dabei öffneten wir auch verschlossene Kisten, die in den größtenteils zerstörten Hallen herumstanden und möglicherweise zum Abtransport in die Sowjetunion vorgesehen waren. Etliche Male hockten wir mucksmäuschenstill hinter einem Pfeiler, während ein sowjetischer Posten ganz in der Nähe patrouillierte.

Auf den Dünen am Priwall tauchten von Zeit zu Zeit ebenfalls Posten auf, die nach kurzem Rundumblick bald wieder verschwanden, wahrscheinlich in einem Unterstand. Außer uns hatten offenbar noch andere Leute diese Beobachtung gemacht, denn sobald der Posten untergetaucht war, huschten geduckte Gestalten zwischen den Dünen westwärts.


Drei Versionen eines Spiegelteleskops

Seit Mitte 1946 schickten uns in den USA lebende Verwandte und Bekannte dann und wann Lebensmittelpakete, die stets auch Zigaretten und Bohnenkaffee, die einzige harte Währung der damaligen Zeit, enthielten. Und diese brauchte man, wenn man im Jahre 1947 ein größeres Spiegelteleskop bauen wollte.

Zunächst erstanden wir von einem älteren Liebhaberastronomen in Schwerin, der seine Optiken selbst zu schleifen pflegte, einen sechszölligen Parabolspiegel aus schwarzem Glas und mit einer Brennweite von 213 Zentimetern sowie ein rechtwinkliges Prisma. Der Kaufpreis dürfte etwa drei Pfund Bohnenkaffee und vielleicht auch einige Schachteln »Chesterfield« betragen haben. Dazu bekamen wir ein Buch geschenkt, in dem der Bau von Fernrohren und Montierungen – fast nur aus Holz – beschrieben wurde. Das war zwar gut und schön, aber was nützte es, wenn man weder Bretter noch das richtige Werkzeug besaß.

Also wurde zunächst ein Provisorium gebaut. Irgendwoher kriegte ich drei schwere, ungehobelte Holzbohlen, über zwei Meter lang, etwa 17 Zentimeter breit und mindestens zwei Zentimeter dick. Aus ihnen nagelten wir die Urfassung unseres Spiegelteleskops zusammen: ein über zwei Meter langer, oben offener Trog. Spötter sagten dazu »Sarg ohne Deckel«. An dem einen, verschlossenen Ende montierten wir den Spiegel, am anderen, oberen Ende das Prisma und ein Okular.

Zum Beobachten legten wir das obere Ende des etwa 15 Kilogramm schweren Ungetüms auf eine Fensterbank, das untere Ende, je nach Höhe des Beobachtungsobjektes, auf den Fußboden, auf einen Stuhl, einen passenden Stapel Bücher oder beides. Irdisches Testobjekt war dieses Mal der etwa zehn Kilometer entfernte Leuchtturm von Warnemünde, den wir aus einem Fenster des Dachbodens unter die Lupe nahmen. Und schon bald waren Mond und Jupiter die nächsten Objekte. Von dem Ergebnis waren nicht nur wir begeistert.

Wenn unsere einquartierten Russen ihre Wodka-Partys gaben, zu denen oft mehr als zehn Kameraden eingeladen waren, dann gehörte zum Programm auch ein Blick durch mein Spiegelteleskop, bevor der Abend feuchtfröhlich zu Ende ging. (...)

April 1948. Als Pennäler mit dem Spiegelteleskop, noch in der Holzversion, im Garten hinter unserem Haus. Am oberen Ende des Tubus ist das Okular zu erkennen, ein Handmikroskop ohne Objektiv, darunter der hölzerne Sucher mit der Optik aus Fernrohr Nummer 1 sowie ein kleines, ausziehbares Handfernrohr. Eines der größten Probleme war die Beschaffung und Montage eines passenden – hier von mir verdeckten – Gegengewichts gewesen. Zum Beobachten hoch am Himmel stehender Gestirne musste man auf eine Trittleiter steigen.


Partielle Sonnenfinsternis und Astronomie-AG

Die Sonnenfinsternis am 28. April 1949 war die erste in Rostock sichtbare Finsternis, seit wir uns mit Astronomie beschäftigten. Sie fand natürlich am Vormittag eines Schultages statt, etwa von 8.30 Uhr bis 10.20 Uhr MESZ.

Einen ganzen Vormittag den Unterricht zu schwänzen war zu riskant, also musste eine andere Lösung gefunden werden, um die Finsternis beobachten und fotografieren zu können. Wir, das waren einige Klassenkameraden und ich, durften mein Spiegelteleskop an diesem Tag auf dem Schulhof aufstellen und wurden bis zum Ende des Abbaues vom Unterricht befreit. Der Rest der Klasse bekam für die Dauer der Finsternis frei.

Zuvor musste das Fernrohr noch für fotografische Aufnahmen umgerüstet werden. Dazu sägten wir eine passende Öffnung in den Tubus und befestigten außen die Halterung für die von einem alten Fotoapparat meiner Eltern stammenden Kassetten für Fotoplatten 9x12 Zentimeter, innen die Führungsschienen für einen Schlitzverschluss. Der wurde durch eine alte Reißschiene, in die wir einen etwa fünf Millimeter breiten Spalt gesägt hatten, und ein Gummiband realisiert. Nach dem Spannen durch teilweises Herausziehen der Schiene aus dem Tubus sorgte ein kleiner Hebel, der in eine Kerbe der Reißschiene eingriff, für die Arretierung. Die Dauer der Belichtung, die durch leichten Druck auf den Hebel ausgelöst wurde, schätzten wir auf etwa 1/500 Sekunde. Wir glaubten, für die geplanten Sonnenaufnahmen sei es vorteilhaft, dass der Spiegel immer noch nicht versilbert war. Im Fotohandel beschafften wir uns möglichst unempfindliche Repro-Platten.

Noch hatte ich selbst keine Ahnung von der Fotografie, und erst recht nicht vom Entwickeln der Platten. Ich erinnere mich, dass ich mir unter einem Entwickler ein Gerät vorstellte. Aber ein Mitschüler, der in der Foto-AG war, erklärte sich bereit, die Platten in der schuleigenen Dunkelkammer in die Kassetten zu legen und jede so schnell wie möglich zu entwickeln.

Am Tage vor dem großen Ereignis brachte ich dann mit einem anderen Mitschüler, der schon einen Führerschein besaß und die Gelegenheit hatte, einen alten Kleintransporter zu chartern, das Fernrohr zur Schule. Am Tag der Finsternis trafen wir uns noch vor Sonnenaufgang auf dem Schulhof zum Aufstellen des Fernrohres. Das Fokussieren mit Hilfe einer Mattscheibe durch Verschieben des Prismas parallel zur Fernrohrachse funktionierte problemlos. Rechtzeitig vor Beginn der Finsternis wurde die erste Platte belichtet und entwickelt, und unser Fotograf verkündete: »Die Belichtungszeit ist genau richtig, die Sonne ist gestochen scharf.« Ich war erleichtert, war es doch meine erste Aufnahme mit einem Fernrohr gewesen.

Eines der drei erhalten gebliebenen Fotos von der partiellen Sonnenfinsternis am 28. April 1949, aufgenommen auf dem Schulhof der Goethe-Oberschule in Rostock. Das Bild entstand etwa zur Zeit der maximalen Verfinsterung. Die Finsternisbilder waren die ersten, mit meinem Fernrohr aufgenommenen Fotos. Die Punkte sind keine Sonnenflecken, sondern Entwicklungsmängel.


Der große Refraktor

(...) Die Holzräder verdankten wir unserer im März 1949 geborenen Schwester. Noch am selben Tag, an dem sie vom Babykorb ins Kinderbett »umstieg«, beschlagnahmten wir die Babykorbräder. Die Rillen für die ursprüngliche Hartgummibereifung waren ideal für die Führung der Treibriemen. Das wiederum waren lederne Schuhbänder von Soldaten-Schnürstiefeln.

Der Refraktor im Märzenschnee 1950. Unsere Schwester Ulrike staunt über das, was ihre Brüder mit den Rädern ihres Babykorbes gemacht haben.

Abenteuerlich war auch die elektrische Freilandleitung aus dickem Eisendraht vom Trafo in der Küche quer durch den Garten bis hin zum Fernrohr, die auf den letzten Metern natürlich unterirdisch verlief. An der linken Seite des Säulenbalkens erkennt man ein Stück der Rückseite der Schalttafel, die gerade von unserer Schwester begutachtet wird.

Die weiteren Bauteile der Säulenmontierung glichen größtenteils denen der Tischmontierung. Was dort als Stundenachse diente, taugte hier als Deklinationsachse.

Zu erwähnen ist noch die auf der rechten Seite – hier außerhalb des Bildes – als Gegengewicht dienende Kamera in bewährter Pötenitz-Bauweise, mit gutem, auch aus Pötenitz stammendem Schneider-Objektiv. Mit ihr fotografierte ich unter anderem den Andromeda-Nebel, später benutzte sie ausgiebig mein Bruder. Ein Projektionsschirm zur risikolosen Beobachtung von Sonnenflecken konnte hinter dem Okular montiert werden. (...)

Davon konnten wir damals nur träumen: Die Schulsternwarte
Rostock steht nur wenige hundert Meter von dem Ort entfernt, an dem wir als Pennäler unsere ersten Fernrohre zusammenbauten und unsere ersten Beobachtungen durchführten. Foto aus dem Jahr 1984.


Ab in den Westen – aber wie?

Da es nach der politischen Prüfung in Rostock ziemlich sicher war, dass ich in der DDR höchstens noch bis April 1952 würde studieren können, war ich schon Mitte August 1951, kurz bevor ich die Genehmigung zum Wechsel an die Uni Jena erhielt, nach Berlin gereist, um mich an der Freien Universität in Westberlin um einen Studienplatz zu bewerben, wo allerdings Physik wieder Hauptfach gewesen wäre. Zwar war die Chance, an der FU zugelassen zu werden, wegen des großen Zustroms aus der DDR recht gering, aber den Versuch wollte ich doch gemacht haben.

Während im Ostteil Berlins die kommunistischen Weltjugendfestspiele mit gewaltigem Aufwand und Zehntausenden Teilnehmern aus aller Welt zelebriert wurden, füllte ich im Westteil der Stadt lange Fragebögen aus mit dem Ziel, im kommenden Jahr die DDR für immer zu verlassen – nicht nur Fragebögen der FU, sondern auch des amerikanischen Generalkonsulats. Als gebürtiger Amerikaner musste ich nämlich vor Vollendung meines 21. Lebensjahres in einem US-Konsulat einen entsprechenden Antrag gestellt haben, falls ich in Zukunft neben der deutschen auch die US-Staatsbürgerschaft beanspruchen wollte. Auf Anraten meiner Eltern hatte ich mich für die Zweistaatlichkeit entschieden.

In beiden Fällen wurde eine Westberliner Adresse vereinbart, an die die Entscheide geschickt werden sollten, denn Post von der FU und erst recht von einer amerikanischen Behörde wäre natürlich höchstverdächtig gewesen, hätte sogar einige Jahre Haft bedeuten können. Auch musste ich damit rechnen, beim Betreten oder Verlassen der FU oder des Konsulats beobachtet und fotografiert zu werden, so wie es anderen Besuchern passiert war. (...)

Nachdem ich eines Tages den Bescheid der FU vorgefunden hatte, dass ich nicht zugelassen sei, schrieb ich an drei Universitäten in Westdeutschland, von denen ich wusste, dass dort Astronomie gelehrt wurde: München, Göttingen und Heidelberg. Dabei bat ich um Informationsmaterial über die Voraussetzungen für die Zulassung zum Studium, die Bedingungen für ein Stipendium und die Aussichten, in einem Studentenwohnheim einen Platz zu bekommen.

Mitte März, nach dem Kolloquium in Potsdam, das ich natürlich für einen Berlin-Besuch genutzt hatte, war von jeder der drei Hochschulen die Antwort eingegangen. Aus München und Göttingen jeweils ein mehrseitiges, umständlich formuliertes Schreiben. Neben etlichen Wenn und Aber wurden ein mehrwöchiger Aufenthalt in einem Flüchtlingsauffanglager sowie eine Wiederholung beziehungsweise Ergänzung des Abiturs verlangt. Aus Heidelberg dagegen war ein kurzes, handschriftlich ausgefülltes DIN-A5-Formular gekommen mit der Mitteilung, dass ich hiermit ab Sommersemester 1952 zum Studium an der Naturwissenschaftlich-mathematischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg zugelassen sei. Stempel und Unterschrift. Damit stand fest, wo ich mein Studium fortsetzen würde.

Offen war nur noch die Frage, auf welchem Weg ich nach Heidelberg gelangen würde. In Betracht kamen zwei Orte, in deren Nähe ich leicht gelangen konnte, ohne mich fluchtverdächtig zu machen: die Sonneberger Sternwarte nahe der thüringisch-bayerischen Grenze oder der Bauernhof meines Onkels wenige Kilometer östlich von Lübeck. Der Übergang dort würde allerdings eine feuchte Angelegenheit werden, denn ich wollte nachts die Pötenitzer Wiek von Pötenitz nach Travemünde durchschwimmen. Auf die Idee, mich in Westberlin in einem Flüchtlingslager zu melden, kam ich nicht, wahrscheinlich war mir diese Möglichkeit nicht bekannt. Die endgültige Wahl wollte ich erst im letzten Moment treffen, sicher würde sie auch vom Wetter abhängig sein. (...)

Zunächst ging die Reise noch einmal nach Westberlin. Das hatte zwei Gründe: Erstens wollte ich dort bei Bekannten alle wichtigen Papiere und Studienunterlagen einschließlich Lehrbücher deponieren, damit sie zu gegebener Zeit nachgesandt werden könnten, und zweitens wollte ich das amerikanische Konsulat über mein Vorhaben informieren und darum bitten, den Bescheid betreffs US-Staatsbürgerschaft an das Konsulat in Frankfurt/Main weiterzuleiten, sobald er aus Washington eingegangen sei.

Beim Besuch im Konsulat wurde ich mit der Mitteilung konfrontiert, dass der Bescheid einige Tage zuvor eingegangen und mein Antrag genehmigt worden sei. Einige Formalitäten waren noch zu erledigen, dann kam es zu der unerwarteten, feierlichen Zeremonie: Im Amtszimmer des Generalkonsuls wurde ich unter einer amerikanischen Flagge auf die amerikanische Verfassung vereidigt und bekam meinen US-Ausweis, »Card of Identity«, ausgehändigt. Bei der Verabschiedung fiel dann noch wie nebenbei die scheinbar belanglose Frage: »Wie wollen Sie eigentlich nach Heidelberg kommen?«

Als sei es die größte Selbstverständlichkeit der Welt, verriet ich meine Pläne: entweder durch die Wälder bei Sonneberg oder durch das Wasser bei Lübeck. Mein Gegenüber wurde zusehends nachdenklich und empfahl mir nach kurzer Pause dann eine andere, günstigere Grenzüberquerung: Als US-Bürger könnte ich einen von den Russen nicht kontrollierten US-Militärzug von Berlin-Lichterfelde nach Frankfurt/Main unentgeltlich nutzen. Die nächste Möglichkeit bestehe in der Nacht vom 29. zum 30. April. Ich solle mir am Vormittag des 29. im Konsulat die nötigen Reisepapiere abholen.

Vermutlich atmete ich damals erst einmal tief durch, bevor ich die unerwartete Wendung in aller Konsequenz begriff. Ich würde völlig risikolos die DDR verlassen können. (...)

Die aber kam eher als gedacht. Am Sonnabend, dem 26. April, kehrte mein jüngerer Bruder mit einer Hiobsbotschaft von der Schule heim. Unterwegs sei ihm Herr R. begegnet und der habe ihn gefragt, ob ich denn nicht mehr in Jena studieren würde. Für uns Anlass genug, dass ich sofort zu meiner Reise aufbrach. In Begleitung meiner Mutter ging ich sicherheitshalber nicht wie sonst zum Hauptbahnhof, sondern zum nächstgelegenen ländlichen Haltepunkt, etwa eine Stunde Fußweg durch Wald und zwischen Feldern. Meine Mutter fuhr noch bis Schwerin mit, wo wir bei einer ihrer Freundinnen übernachteten.

Am Sonntag, dem 27. April, ging es für mich von dort weiter nach Westberlin, am nächsten Vormittag wurden die bei Bekannten deponierten Bücher und andere Utensilien versandfertig verpackt, am Nachmittag nahm ich beim Konsulat meine Reisepapiere in Empfang.

Am Dienstag, wenige Stunden vor Abfahrt des Militärzuges, machte ich dann den wohl dümmsten Fehler meines Lebens, der zum Glück ohne Konsequenzen blieb, abgesehen von den Alpträumen, die mich noch jahrzehntelang verfolgten. (...)


Werkstudent in Heidelberg

Am 30. April 1952, um 12.45 Uhr, kam ich mit dem Zug aus Frankfurt/Main im ehemaligen, längst verschwundenen Heidelberger Hauptbahnhof an. In meiner Aktentasche hatte ich die nötigsten Utensilien und im Geldbeutel etwa 60 DM West, die ich am Tag zuvor in einer Westberliner Wechselstube für mein ganzes Vermögen von rund 250 Ostmark erhalten hatte. Ein Polizist wies mir den Weg zur Universität, die ich gegen 13 Uhr erreichte.

Das Passbild in meinem ersten westdeutschen Personalausweis, aufgenommen im Mai 1952. Nach achtmonatiger Mensa-Kost in Jena und den ersten »Hungerdiät«-Tagen in Heidelberg war ich recht hager. Das änderte sich aber schon bald.

Ich erwischte gerade noch die buchstäblich letzte Person, die vor dem bevorstehenden Mai-Feiertag das Gebäude, die so genannte Alte Universität, verließ. Ihr erläuterte ich meine Situation und sie empfahl mir, mich an das Collegium Academicum, ein nahe gelegenes Studentenwohnheim, zu wenden.

Leider kam ich im CA um eine Stunde zu spät an. Um 12 Uhr war die Bewerbungsfrist für einen Wohnplatz abgelaufen. Aber auch bei früherer Ankunft wäre meine Chance gering gewesen, denn von 60 Bewerbern hatten nur 18 berücksichtigt werden können. Trotzdem: Für die ersten Tage bekam ich hier eine Unterkunft, und zwar in einem Abstellraum, in den man mir eine vorübergehend ungenutzte Schlafcouch stellte. Und mehr brauchte ich für den Anfang ja auch nicht.

In der hauseigenen Mensa nahm ich mein erstes westliches Mittagessen ein, zu dem mich ein Collegiat eingeladen hatte. Er schenkte mir auch einige Suppenmarken. Danach zog es mich zur Sternwarte auf den Königstuhl. (...)

Der offenbar blinde Pförtner der Sternwarte meldete mich telefonisch bei Professor Kienle an und beschrieb mir den Weg zum Direktorenwohnhaus. Die junge Frau, die mir öffnete, musste eine Kienle-Tochter sein, denn »Paps, der Student aus Jena ist da« schallte es durch die Wohnung.

»Er soll rein kommen«, echote es zurück. Ich stellte mich vor, erwähnte meinen Besuch seines Kolloquiumsvortrags in Potsdam, der gerade sechs Wochen zurücklag, und trug dann mein Hauptanliegen vor, nämlich einen Arbeitsplatz auf der Sternwarte zu bekommen. Kienle erläuterte mir, das dies zurzeit leider nicht möglich sei, da er für Hilfskräfte noch keine Gelder zur Verfügung hätte. Das liege entscheidend auch daran, dass das neue Land Baden-Württemberg ja gerade vor einer Woche gebildet worden sei und es darum viele verwaltungstechnische Probleme gebe. Sogar bei der Bezahlung der ständigen Mitarbeiter. Ich solle aber mal bei Professor Kopff, dem Direktor des Astronomischen Recheninstituts nachfragen, der bekomme seine Mittel vom Bund und habe vielleicht eher die Möglichkeit, eine Hilfskraft einzustellen. Etwas enttäuscht, aber keineswegs entmutigt, wanderte ich zu Fuß wieder bergab.

Prof. Dr. Hans Kienle (1895–1975), von Mai 1953 bis zum Ende meiner Assistentenzeit 1962 mein Chef und Geldgeber. Die Sektparty nach seiner Wahl in die Friedensklasse des Ordens »Pour le mérite« im Jahre 1960 habe ich noch gut in Erinnerung.

Das Abendessen in der Mensa, eine geschenkte Suppe, nutzte ich, um mich nach möglichen Arbeitsplätzen umzuhören. Ich erfuhr auch die Namen etlicher Firmen, bei denen man als Werkstudent eine Arbeitsmöglichkeit bekommen konnte, so bei der BASF in Ludwigshafen oder bei der LANZ-Landmaschinenfabrik in Mannheim.


Inhalt »Sterne über Ost und West«

 

 

Vorwort 6

Kindheit und Jugend in der NS-Zeit
Von New York nach Rostock 8
Kriegsjahre 15

Kriegsende und Nachkriegszeit
Die Russen kommen 28
Neuanfang in Rostock 32

Pennäler-Astronomie
Das erste und das zweite Fernrohr 37
Die erste Montierung 39
Die erste Expedition 40
Wo war Saturn? 43
Das »Sternbüchlein 1946« und seine Folgen 44
Entdeckung eines »neuen« Sterns 46
Drei Versionen eines Spiegelteleskops 47
Krisenjahr 1948 51
Partielle Sonnenfinsternis und Astronomie-AG 52
Zu Besuch im Einsteinturm in Potsdam 55
Der große Refraktor 56
Etappenziel 61

Ost-westliches Astronomiestudium
Praktikant am Meteorologischen Institut Warnemünde 63
Stud. phil. nat. an der Universität Rostock 65
»Und in Jene lebt sich’s be-e-e-ne« 70
Ab in den Westen – aber wie? 77
Werkstudent in Heidelberg 83
Hilfsrechner an der Badischen Landessternwarte 90
»Höchster« Student Heidelbergs 100
Zwischen Königstuhl und Pic du Midi 107

Glossar 118

 

Mit freundlicher Genehmigung des Zeitgut-Verlages
Bilder: © Zeitgut-Archiv

 

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